Ob ein „Sommermärchen“ vor uns liegt?

Vom 14. Juni bis zum 14. Juli findet die Fußball-Europameisterschaft hier in Deutschland statt. Manch einer erinnert sich darum dieser Tage zurück an die WM 2006, das „Sommermärchen“, das damals durch die Wochen gezogen ist. Darin steckt nicht selten auch die Sehnsucht, es möge doch eines kommen. Wenigstens ein paar Wochen Auszeit von all dem, was so eine Schwere ins Leben trägt. Wohl wissend, dass die deswegen nicht einfach verschwindet. Und gerade das 2006er Sommermärchen hat ja im Nachgang einen recht faden Beigeschmack bekommen mit Korruptions- und Bestechungsvorwürfen und der Frage, ob man sich im Nachhinein immer noch über diese vergangene Zeit freuen darf.

Der Sommer – wie alle Jahreszeiten – ist und bleibt eine Gemengelage. Mit Licht und Schatten. In jedem Märchen gibt es auch ein paar Bösewichte, Drachen, Ungeheuer. Das Leben ist ein Gemischtwarenladen. Damit und darin gilt es zu leben; daran entzündet sich manche Rede von christlichem Glauben als „Lebenskunst“.

Ein Meister solcher Lebenskunst war Paul Gerhardt und abzulesen ist das etwa an einem seiner bekanntesten Lieder, das er noch ganz unter den Eindrücken und Erfahrungen großer Ungeheuer – des 30jährigen Krieges – geschrieben hat: „Geh aus mein Herz und suche Freud“ (EG 503). Es ist ein Lied, das von der Sehnsucht und der Erfahrung von „Sommermärchen“ singt. Allerdings solchen, die Wirklichkeit werden. Keine Märchen bleiben, auch wenn er vieles in diesem Lied in fast „märchenhafte“ Sprache packt. Er kann mitten in allen gemischten Erfahrungen vom Sommer singen, den Gott schenkt, erfahrbar macht „mittendrin“. Um diese Erfahrung bittet Paul Gerhardt, um davon zehren zu können auch in manch anderen Tagen:

Hilf mir und segne meinen Geist mit Segen, der vom Himmel fleußt,
dass ich dir stetig blühe; gib, dass der Sommer deiner Gnad
in meiner Seele früh und spat viel Glaubensfrüchte ziehe,
viel Glaubensfrüchte ziehe.

Wie märchenhaft die kommenden Wochen sein mögen oder wie schnell wir uns auch wieder im ganz anderen Leben wiederfinden, ich wünsche Ihnen inmitten all dessen, was vor uns liegt, diese Erfahrung, von der Paul Gerhardt schreibt: dass Ihnen der „Sommer SEINER Gnad“ aufgeht, begegnet, und damit „viel Glaubensfrüchte ziehe“.

Ihr Pfarrer Benjamin Schimmel

Gemeindebote Eibach 2024 06